Erstaunen
ergreift einen, betrachtet man die Bilder von IngoKuczera. Es wandelt sich in
Ergriffenheit vor den künstlerischen Äußerungen
und erweckt den Wunsch nach vertiefender Betrachtung. Ein
höchst eigenwilliges Werk hinterließ der jung aus der
Welt geschiedene Künstler aus Radebeul: gestisch und spröde
zum einen, zart und poetisch zum anderen. Keine kunsthistorische
Schublade eignet sich für dieses
– erzwungener - maßen
von akademischen Regeln unberührte – bis zu seinem Tod
2004 entstandene Konvolut von Aquarellen, Zeichnungen, Collagen
und Ölbildern. So bleibt einem Betrachter der unvoreingenommene
Blick erhalten, um unter der
Wirkung dieser hochsensiblen
Blätter die spezifische Begabung eines an Herz und
Geist sich selbst verbrennenden Künstlerschicksals zu erkennen.
Wir möchten mit unserer Auswahl
seiner Arbeiten hineinleuchten in
die Grenzräume zwischen Empfindung, Ausdruckswillen, Hoffnung
und Enttäuschung, in denen das Leben dieses nach
künstlerischer Offenbarung ringenden Malers kreiste. Etwa
100 Blätter umfasst diese Auswahl, in der kaleidoskopartig wesentliche
Stationen seines Wirkens aufscheinen.
Kuczera
ist nicht am Artifiziellen zu messen. Nicht zufällig fühlte
er sich zur Kunst Albert Wigands hingezogen, dessen Werk
erst spät der Ruhm zuteil wurde, zum Bedeutendsten der Dresdner
Kunst im 20. Jahrhundert gezählt zu werden. Die Parallelen
im sensiblen Aufspüren lyrisch expressiver Lebens - äußerungen
fern vom großen Kunstbetrieb sind bei allen biografischen und
künstlerischen Unterschieden doch vorhanden. So schreibt
er 1990 über die Collagen Wigands: »Es sind Notierungen eines
in sich versinkenden, dem irritierenden äußerlichen Leben
fliehenden Geistes« – und spricht zugleich über sich selbst.
Ebenso wie bei Wigand, wo alles
aus der Tiefe und Fülle kommt, hat
auch der Formwille Ingo Kuczeras eine innere Notwendigkeit. Selbst
das manchmal Kindliche und Ungelenke, das man wahrzunehmen
vermeint, erscheint als eine Rückkehr zu einer früheren
Stufe der eigenen Sprache: wundersam in ihrer Einfachheit und
ihrer Frische. Nicht traumversponnen, sondern kritisch und
wach, graphisch-expressiv, ist die Kraft seiner Begabung doch
dem Diesseits gewidmet. Sie verbildlicht den Wunsch, eine gleichermaßen
ersehnte wie gefürchtete Welt in einer Synthese von
Natur, Gefühl und Geist zu imaginieren.
Ingo
Kuczeras Kunst zeigt feine Verbindungsfäden mit der Gotik
und der Romantik. Seine Stilisierungen gingen von natürlichen
Formen aus, die er abstrahierte, ohne ihren Ausgangspunkt aufzugeben.
Sie bergen Erinnerungen an die sinnlichen, fließenden
Linien des Jugendstils mit den Mädchenfiguren, den Vögeln
und Schwänen, den pflanzlichen Formen, die wachsen und
sich in eine menschliche Botanik verwandeln, den Blütenknospen, den
Wellen und dem Rauch: Linien, die ausdrucksvoll, zerbrechlich
sind und doch die Spannung beherrschen und
sich ihren Weg bahnen. Zugleich, klar und ernst, setzte Kuczera
sorgfältig farbige Flächen, oft in kühlen Farben: Grün, Grau,
Blau, Violett, oftmals schwarz akzentuiert – darin die subtilen
Details zwischen Ornament und Abstraktion. Er nutzte die
sinnlichen Qualitäten des Aquarells, um den Kontrast von flüchtiger
Zartheit und bewegungsloser Versteinerung zu schildern. In
additiver Weise fügte er Figuren und Gegenstände zueinander,
die Symbolbedeutung haben und beim Betrachter Gedankengänge
auslösen. |
Figuren und Formen sprießen
hervor wie eine zufällige Saat,
verbinden Mikrokosmos und Universum. Kuczeras
Wesen ersteigen Gipfel unberührter Orte und
blicken in die Tiefe von Erinnerungsräumen. Sie kristallisieren im
Augenblick ihrer Erschaffung. Mit ihrer durchscheinenden Leiblichkeit
und ihren blauerfüllten, wilden Augen künden sie
von der Sehnsucht nach Leben und ringen mit der Vergänglichkeit. Wenn
auch irritierende Momente der Verrätselung in Kuczeras
Bilderfindungen einfließen, siedeln sie doch weitab von
Ängstlichkeit und Schwäche und auch von dem, was in herkömmlicher
Weise als Ernst anzusehen ist: sie sind selbstgewachsen und
tiefverwurzelt, seltsam und eindringlich.
Die
äußeren Diskurse über Politik und über Kunst in der Zeit um und
nach 1989 beschäftigen ihn, dringen aber nicht über die Grenze
seiner abgeschirmten Authentizität. Er flieht die Gefahr »zaghafter
Rührseligkeit« (Tagebuch 5.März 1992), sucht statt dessen
etwas, das er anfänglich bei Beuys’ Arbeiten empfindet: »Eine
kraftvolle Intimität bei allem! Und die tiefe Menschlichkeit –
beinahe kindlich.« (Tagebuch 28.Dezember 1996) Obwohl
er auch große Bildflächen bearbeitet und sich mit Installationen
beschäftigt, resümiert er:
»Ich kann mich am
intensivsten im Kleinformat äußern – dort Reichtum
ausbreiten und für die Empfindungen auch Feste veranstalten «
(Tagebuch 9.November 1995) »Themen wie gehabt:
rührende Begebenheiten,
beängstigende Ahnungen, witzige Situationen,
philosophische Denkbilder usw. Jeweils im Malen ersponnen
Lyrik, Romantik, Poesie, Liebe, Sehnsucht, Schmerz frei
von Angst und Tod und sehr leicht mit viel Luft und Licht und Träumerei
…« (Tagebuch 19.Januar 1997) Aus den Unzulänglichkeiten seines
Daseins wuchs ein Hauch von Glück, von Augenblicken
der Erfüllung im Außerkraftsetzen der Zeit. So bleiben
Ingo Kuczeras Bilder »… wie ein letztes Dankeschön an
eine versinkende Welt.« (Tagebuch 20.März 1997)
BIOGRAFIE
1964 in Radeberg geboren
1979 Umzug nach Premsnitz
1980–82 Schlosserlehre
1986 Umzug nach Dresden
ab 1987 mehrere erfolglose Bewerbungen zum Direktstudium
an der HfBK Dresden und der HdK Berlin
1987 Abendstudium (Aktzeichnen) an der HfBK Dresden
seit 1988 Beteiligung an Ausstellungen v.a. in Dresden
und Radebeul
1990 Umzug nach Radebeul, Aufnahme in den BBK
als Autodidakt · zeitweise ABM als künstlerischer Mitarbeiter
in der Stadtgalerie Radebeul
2004 in Dresden gestorben
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