NÚRIA QUEVEDO

      (geb.: 1938)

 

BIOGRAFIE

1938 in Barcelona geboren. 1952 Emigration der Familie nach Berlin (Ost). 1955-58 Studium an der ABF (Arbeiter- und Bauern-Fakultät) in Berlin. 1958-63 Studium an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst, Berlin-Weißensee. Ab 1963 freischaffend. 1968-71 Meisterschülerin an der Akademie der Künste der DDR. 1986-91 Mitglied der Akademie der Künste der DDR. 1994-1996 Gastprofessur an der Universität Greifswald. Lebt freischaffend in Berlin und Sant Feliu de Guíxols.   

Etwa 15 Jahre nach der Wiedervereinigung erschienen die ersten kunstgeschichtlichen Überblicksdarstellungen zur deutschen Kunstentwicklung  nach 1945, die nicht mehr explizit nach deren systempolitisch eingeordneter Entstehung im ehemaligen Westen oder Osten des Landes sortierten. Außerkünstlerische Betrachtungsweisen traten etwas zurück. Ein solcher Ansatz konnte sich dem Werk von Núria Quevedo nicht entziehen. Wie zur Zeit des Erscheinens ihres Werkes in der Öffentlichkeit ab den beginnenden 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, liegen die Gründe wohl in ihrer lauteren, auf Einfachheit beruhenden humanen und ästhetischen Ansprache. Die gelegentlich verwundert vorgetragene Feststellung, dass sich im Ansatz und im Anspruch in der Kunst von Núria Quevedo vor und nach der politischen Wende keine „Übergangsschwierigkeiten“ eingestellt haben, liegt wohl zuerst daran, dass sie sich weder vor noch nach 1989 anpassen oder vereinnahmen ließ. Aus dem Eigenen ihrer Kunst hat sich so zwangsläufig das Einmalige, das bleibend unser Interesse Erregende, ergeben. Mit retrospektivem Ansatz stellen wir in der Ausstellung das Werk der heute 70-jährigen Malerin, Zeichnerin und Grafikerin vor.

Im späten Kindesalter, mit 14 Jahren wird die gebürtige Katalanin aus ihrer Heimat herausgerissen. Sie folgt mit ihrer Mutter dem Vater ins Brandenburgische, nach Berlin (Ost). Ihr Vater hatte auf republikanischer Seite gegen Franco gekämpft und musste ins Exil. Die Unterschiede zwischen der verlorenen und der zu gewinnenden Heimat konnten vom Menschenschlag und den kulturellen Traditionen her, von der Landschaft, dem Licht, dem Klima und auch mit Blick auf die gesellschaftliche Situation kaum größer sein. Das Bestehen beider „Heimaten“ bis heute widerspricht nicht ihrer (gelungenen) Absicht, sich in der neuen zurechtfinden zu wollen. Bezieht man die auf andere Art und spezifische „Exilsituation“ der Deutschen im Osten mit der ungefragt erfolgten Abtrennung vom westlichen Teil der nationalen Heimat und der bald endgültig gemachten Trennung durch Gesetze, Mauern und Zäune bis in die Familien hinein einerseits und die zunehmenden Differenzen zwischen begrüßten Utopien und entstandenen Realitäten auf der anderen Seite mit ein, so erfassen wir die Lebenswirklichkeit von Nuria Quevedo in der ihre Entwicklung als Persönlichkeit und Künstlerin stattfindet und sich behauptet. Beide kulturellen Einflüsse konnte sie für ihr Werk produktiv machen.

Mit ihrer Ausbildung bei Werner Klemke, Arno Mohr und Klaus Wittkugel an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst Berlin-Weißensee so wie der beginnenden freien künstlerischen Arbeit und auch während ihrer Meisterschulzeit bei Werner Klemke an der Akademie der Künste wendet sie sich zunächst der künstlerischen Illustration zu. Allerdings haben diese Arbeiten mehr mit freien Beziehungen zu den weltliterarischen Vorlagen (und zum Leben) als mit deren Bebilderungen zu tun. Nach Friedrich Dieckmann gehören diese Illustrationen „zu dem Schönsten, was das Buchland DDR während seiner vierzigjährigen Dauer hervorgebracht hat.“ Als Malerin, zu der sie sich praktisch autodidaktisch ausbildet, tritt sie erst hervor, als sie bereits das dreißigste Lebensjahr überschritten hatte. Zunächst sind es höchst eigenständige, weitgehend monochrome, tief beeindruckende, oft melancholische Porträt- und Figurenbilder, die schnell Aufsehen in der Berliner Malerei und in der DDR erregen. Etwa: „Fräulein und Magd“, 197o, „Dreißig Jahre Exil“, 1971, „Schwangere im Atelier am Pariser Platz“, 1972, und das Pieta-Darstellungen nahe Großgemälde „Denn ich bin wie der gestürzte Baum, der von neuem treibt: weil in mir noch neues Leben ist“, 1973/76. Die Bilder sind von großer Einfachheit, durchaus im märchenhaften Sinne von direkter Ehrlichkeit und tendieren bereits zum Zeichenhaften. Später, unterschiedlich betont, finden wir das in ihren Don-Quijote-Darstellungen, archaischen Figurenbildern und den Werken beispielsweise aus der „Kopf-Hand“-Reihe zu hoher Meisterschaft getrieben, wieder. Ihre Bilder sind keinesfalls pessimistisch. Auch nicht das Gemälde „Schwangere im Atelier am Pariser Platz“, das zur thematisierten Hoffnung den Blick auf Mauer und Todesstreifen freigibt. Auch nicht die entfernt und in der inneren Sache an Otto Nagels Polyptychon „Weddinger Familie“ (1930) erinnernden, nicht die Hoffnung aufgeben könnenden hoffnungslosen Gesichter der Dresdener Exilgemeinde in „Dreißig Jahre Exil“.

Ebenso sind die Landschaftsdarstellungen – mit oder ohne Figuren – zuerst geistig und gefühlsmäßig tief greifende Auseinandersetzungen mit grundsätzlich existenziellen Fragestellungen. Mit Berichten oder der Wiedergabe emotionaler Landschaftsempfindungen haben sie wenig zu tun.. Es entstehen aus Beziehungen zwischen Himmel und Landschaft und Bildgeschichten und Personen oder „Staffagen“ in Verbindung mit Positionsbezügen rasch zu erfassende Gesamtsituationen. Wie bei allen anderen Arbeiten von Núria Quevedo scheint zunächst alles geklärt zu sein. Und doch wird der Betrachter nicht fest gelegt. Nun kann er den Rahmen selbst füllen. Beliebig bleibt trotzdem nichts. Noch höher werden die Anforderungen an den Betrachter – aber auch die eingeräumten individuellen Genuss- und Einbringungschancen – bei den gelegentlich großformatigen „Kopf-Hand“ - Bildern. Im ersten Anblick   uninterpretierbar begegnen uns zeichenhaft  archaische Köpfe (durchaus mit charakterlichen Prägungen), losgelöst davon Hände als eigene Sinnzeichen und -gaben, Requisiten mit inhaltlichen Bedeutungen und gelegentlich Landschaften. In diesem Stadium öffnen sich nun die Bilder völlig „ungegängelt“ für Brechungen durch den Betrachter und für Selbstfindungen. Der Nachhaltigkeit des Werkes von Núria Quevedo wird man sich nicht entziehen können.