Ingo Kuczera
(1964–2004)

 

Erstaunen ergreift einen, betrachtet man die Bilder von IngoKuczera. Es wandelt sich in Ergriffenheit vor den künstlerischen Äußerungen und erweckt den Wunsch nach vertiefender Betrachtung. Ein höchst eigenwilliges Werk hinterließ der jung aus der Welt geschiedene Künstler aus Radebeul: gestisch und spröde zum einen, zart und poetisch zum anderen. Keine kunsthistorische Schublade eignet sich für dieses – erzwungener - maßen von akademischen Regeln unberührte – bis zu seinem Tod 2004 entstandene Konvolut von Aquarellen, Zeichnungen, Collagen und Ölbildern. So bleibt einem Betrachter der unvoreingenommene Blick erhalten, um unter der Wirkung dieser hochsensiblen Blätter die spezifische Begabung eines an Herz und Geist sich selbst verbrennenden Künstlerschicksals zu erkennen. Wir möchten mit unserer Auswahl seiner Arbeiten hineinleuchten in die Grenzräume zwischen Empfindung, Ausdruckswillen, Hoffnung und Enttäuschung, in denen das Leben dieses nach künstlerischer Offenbarung ringenden Malers kreiste. Etwa 100 Blätter umfasst diese Auswahl, in der kaleidoskopartig wesentliche Stationen seines Wirkens aufscheinen.  

Kuczera ist nicht am Artifiziellen zu messen. Nicht zufällig
fühlte er sich zur Kunst Albert Wigands hingezogen, dessen Werk erst spät der Ruhm zuteil wurde, zum Bedeutendsten der Dresdner Kunst im 20. Jahrhundert gezählt zu werden. Die  Parallelen im sensiblen Aufspüren lyrisch expressiver Lebens - äußerungen fern vom großen Kunstbetrieb sind bei allen biografischen und künstlerischen Unterschieden doch vorhanden. So schreibt er 1990 über die Collagen Wigands: »Es sind Notierungen eines in sich versinkenden, dem irritierenden äußerlichen Leben fliehenden Geistes« – und spricht zugleich über sich selbst. Ebenso wie bei Wigand, wo alles aus der Tiefe und Fülle kommt, hat auch der Formwille Ingo Kuczeras eine innere Notwendigkeit. Selbst das manchmal Kindliche und Ungelenke, das man wahrzunehmen vermeint, erscheint als eine Rückkehr zu einer früheren Stufe der eigenen Sprache: wundersam in ihrer Einfachheit und ihrer Frische. Nicht traumversponnen, sondern kritisch und wach, graphisch-expressiv, ist die Kraft seiner Begabung doch dem Diesseits gewidmet. Sie verbildlicht den Wunsch, eine gleichermaßen ersehnte wie gefürchtete Welt in einer Synthese von Natur, Gefühl und Geist zu imaginieren.  
Ingo Kuczeras Kunst zeigt feine Verbindungsfäden mit der
Gotik und der Romantik. Seine Stilisierungen gingen von natürlichen Formen aus, die er abstrahierte, ohne ihren Ausgangspunkt aufzugeben. Sie bergen Erinnerungen an die sinnlichen, fließenden Linien des Jugendstils mit den Mädchenfiguren, den Vögeln und Schwänen, den pflanzlichen Formen, die wachsen und sich in eine menschliche Botanik verwandeln, den Blütenknospen, den Wellen und dem Rauch: Linien, die ausdrucksvoll, zerbrechlich sind und doch die Spannung beherrschen und sich ihren Weg bahnen. Zugleich, klar und ernst, setzte Kuczera sorgfältig farbige Flächen, oft in kühlen Farben: Grün, Grau, Blau, Violett, oftmals schwarz akzentuiert – darin die subtilen Details zwischen Ornament und Abstraktion. Er nutzte die sinnlichen Qualitäten des Aquarells, um den Kontrast von flüchtiger Zartheit und bewegungsloser Versteinerung zu schildern. In additiver Weise fügte er Figuren und Gegenstände zueinander, die Symbolbedeutung haben und beim Betrachter Gedankengänge auslösen.

Figuren und Formen sprießen hervor wie eine zufällige Saat, verbinden Mikrokosmos und Universum. Kuczeras Wesen ersteigen Gipfel unberührter Orte und blicken in die Tiefe von Erinnerungsräumen. Sie kristallisieren im Augenblick ihrer Erschaffung. Mit ihrer durchscheinenden Leiblichkeit und ihren blauerfüllten, wilden Augen künden sie von der Sehnsucht nach Leben und ringen mit der Vergänglichkeit. Wenn auch irritierende Momente der Verrätselung in Kuczeras Bilderfindungen einfließen, siedeln sie doch weitab von Ängstlichkeit und Schwäche und auch von dem, was in herkömmlicher Weise als Ernst anzusehen ist: sie sind selbstgewachsen und tiefverwurzelt, seltsam und eindringlich.  

Die äußeren Diskurse über Politik und über Kunst in der Zeit um
und nach 1989 beschäftigen ihn, dringen aber nicht über die Grenze seiner abgeschirmten Authentizität. Er flieht die Gefahr »zaghafter Rührseligkeit« (Tagebuch 5.März 1992), sucht statt dessen etwas, das er anfänglich bei Beuys’ Arbeiten empfindet: »Eine kraftvolle Intimität bei allem! Und die tiefe Menschlichkeit – beinahe kindlich.« (Tagebuch 28.Dezember 1996) Obwohl er auch große Bildflächen bearbeitet und sich mit Installationen beschäftigt, resümiert er:

»Ich kann mich am intensivsten im Kleinformat äußern – dort Reichtum ausbreiten und für die Empfindungen auch Feste veranstalten « (Tagebuch 9.November 1995) »Themen wie gehabt:

rührende Begebenheiten, beängstigende Ahnungen, witzige Situationen, philosophische Denkbilder usw. Jeweils im Malen ersponnen Lyrik, Romantik, Poesie, Liebe, Sehnsucht, Schmerz frei von Angst und Tod und sehr leicht mit viel Luft und Licht und Träumerei …« (Tagebuch 19.Januar 1997) Aus den Unzulänglichkeiten seines Daseins wuchs ein Hauch von Glück, von Augenblicken der Erfüllung im Außerkraftsetzen der Zeit. So bleiben Ingo Kuczeras Bilder »… wie ein letztes Dankeschön an eine versinkende Welt.« (Tagebuch 20.März 1997)

 

BIOGRAFIE

1964 in Radeberg geboren
1979 Umzug nach Premsnitz
1980–82 Schlosserlehre
1986 Umzug nach Dresden
ab 1987 mehrere erfolglose Bewerbungen zum Direktstudium
an der HfBK Dresden und der HdK Berlin
1987 Abendstudium (Aktzeichnen) an der HfBK Dresden
seit 1988 Beteiligung an Ausstellungen v.a. in Dresden
und Radebeul
1990 Umzug nach Radebeul, Aufnahme in den BBK
als Autodidakt · zeitweise ABM als künstlerischer Mitarbeiter
in der Stadtgalerie Radebeul

2004 in Dresden gestorben