Kurzbiographie

Bruno Voigt 1912-1988

Mein Lebenslauf (Auszug)

Am 20. September 1912 wurde ich in Gotha geboren. Mein Vater war Lehrer und Zeichenlehter, meine Mutter Hausfrau. ... Mein Vater war fanatischer Kriegsgegner. 1918 sollte er angeklagt werden wegen öffentlich geäußerter Reden gegen den Krieg. Die Revolution hat ihn gerettet. Ich war nun sechs Jahre und kann mich noch genau erinnern, daß ein Arbeiter- und Soldatenrat in unserer Wohnung gegründet wurde. ... . Als im Kapp-Putsch die junge Republik von bewaffneten Arbeitern verteidigt wurde, hatten meine Eltern in unserem Haus ein Notlazarett für diese Kämpfer eingerichtet. Mein Vater war neben seinem Beruf als Theaterkritiker und Berichterstatter für die SPD-Presse tätig. ...(Und) er besuchte mit mir Museen, Ausstellungen und Theateraufführungen im Thüringer Raum. Meine Cousine hatte in Weimar den Architekten Fred Forbat (Bauhaus) geheiratet. Er entstammte einer jüdischen Familie aus Ungarn, das Haus meiner Tante Hedwig Rücker war häufig Treffpunkt von Malern wie z.B. Feininger, Kandinsky und später Kokoschka – ich war in diesem Kreis als Junge ein faszinierter und begeisterter Zuhörer. Fred Forbat und sein Anhang bestärkten mich nach Besichtigung meiner „Knabenkunst“ in meinem Vorhaben, Maler und Grafiker zu werden. 1929 ... wurde (ich) Schüler des Impressionisten Prof. Walter Klemm an der Akademie für bildende Künste Weimar. Bei Klemm lernte ich „ehrlich“ zu zeichnen mit einem harten Bleistift. Jeden Abend zeichnete ich in Cafés und Kneipen die dort vorhandenen Gäste – ganz heimlich unterm Tisch auf den Knien. Mich reizte sehr die energisch karge Kontur der Kaltnadelradierung. Im Anfang waren meine wirklichen Lehrmeister Lucas Cranach, Pieter Breughel und die Meister des Japanholzschnittes. ... Ich erlernte die altmeisterliche Mischtechnik bei dem Eigenbrötler und feinsinnigen alten Maler Fröhlich und dem technisch perfekten Landschaftsmaler Kurt von Roquette. Mein Vorbild war damals Otto Dix, der dieselbe Maltechnik anwendete. Der Einfluß von George Grosz, Schlichter und Karl Arnold war bei meinen Zeichnungen und Radierungen stilbildend – ich halte das nicht für ein Plagiat, sondern für eine Frage der Generation, der ich angehörte. Also halte ich mich für einen Vertreter der Neuen Sachlichkeit. 1932 schien meine Existenz gesichert, denn ich erhielt einen Vertrag beim Bavaria-Verlag München, der aber im Mai 1933 gekündigt wurde, da mein Stil als „entartet“ galt. ... So stand ich wieder vor der absoluten finanziellen Not. Ende 1932 bildeten wir in Weimar eine ASSO-Gruppe, doch eine Ausstellung kam nicht mehr zustande. Freunde wurden verhaftet, beinahe wurde mir das gleiche Schicksal zuteil. Meine politischen Zeichnungen konnte ich retten. Im Mai 1933 ... (kamen) Polizei und SA in mein Atelier, um Bilder, Bücher etc. zu vernichten. Meine besten Freunde waren damals der Maler Pohle, Alfred Ahner und der ewig erwerbslose Zirkusclown Firme, ... . Meine Frau und ich mußten politisch schwer belastet nach Gotha zurückkehren. ...Unter den ständigen Bedrohungen brach ich fast zusammen. Ich habe mit letzter Energie weitergemalt und durch das Kopieren Alter Meister meine Maltechnik ständig verbessert. 1937 zog ich zu meiner Tante Hedwig Rücker nach Ullrichshalben bei Weimar. Ich lebte von den Früchten des Gartens und von sogenannter Schwarzarbeit als Anstreicher von Viehställen und Bauernküchen. Ende 1941 wurde ich zur Infanterie eingezogen. Als ich Soldat werden mußte, habe ich meinen Angehörigen gesagt, daß ich desertieren würde, sie möchten also der Meldung, daß ich gefallen sei, keinen Glauben schenken. Das war nützlich, denn nach meiner Fahnenflucht wurde ich als Gefallen gemeldet. ... Während der englischen Kriegsgefangenschaft blieb ich auf französischem Boden und arbeitete als Dolmetscher in französischen Häfen ... und als Zeichner im Zentralbüro der Deminage in Cabourg und fühlte mich mehr als Emigrant denn als Kriegsgefangener. Wärend dieser Zeit konnte ich malen und zeichnen. Einiges davon blieb in Frankreich. Die Gefangenschaft war für mich nicht bedrückend. Ende 1947 kam ich zu Hause an. ... Das nun folgende ist kurz berichtet: Tätigkeit als Stadtrat, Kulturfunktionär, Studienleiter für Lehrerausbildung, Museumsdirektor in Gotha. Berufung nach Berlin als Abteilungsleiter für Museen und Denkmalpflege im Ministerium für Kultur. Später Berufung von Professor Justi an die Staatlichen Museen zu Berlin als Direktor der Ostasiatischen Sammlung. ... Nach 32jähriger Tätigkeit als Direktor konnte ich nach Vollendung des 70. Lebensjahres in den Ruhestand treten, ich erlebe jetzt eine persönliche Renaissance: ich kann unbeschwert von Verpflichtungen wieder nur malen und zeichnen. ... Am 14. Oktober 1988 stirbt Bruno Voigt in Berlin.

 

Spätestens 1978/79, mit der Ausstellung „Revolution und Kunst, Revolutionäre Kunst in Deutschland 1917-1933“, im Alten Museum Berlin, hätte man durch die überraschenden Arbeiten des bis dahin fast völlig unbekannten Künstlers Bruno Voigt (1912 Gotha – 1988 Berlin) auch in Weimar, dessen künstlerisch wichtigstem Wirkungsort, auf den Maler und Zeichner aufmerksam werden können. Zunächst aber reagierte der Westen auf die Entdeckung. Die Neue Münchner Galerie zeigte 1983/84 zwischen 1930 und 1948 entstandene Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken, Bodo Niemann, Berlin West, stellte 1988 Arbeiten auf Papier und bereits 1984/85 einige Blätter in seiner Ausstellung: „Die Stadt in den Zwanziger Jahren“ vor. Das Berliner Museum für Moderne Kunst, die Berlinische Galerie, nahm 1987 in ihre Ausstellung „Mensch und Großstadt in der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts“ mehrere Blätter von Voigt auf. Im gleichen Jahr zeigt das Haggerty Museum of Art in Milwaukee, USA, die Personalausstellung „ Berlin in the 1920s and 1930s, a city of decadence, revolt and chaos, watercolors and drawnings of Bruno Voigt“. Ein Jahr später, 1988, stellt die AGO-Galerie Berlin (Wilmersdorf) die Ausstellung „Bruno Voigt, Widerstandskunst 1933-1944“ vor. Im Osten Deutschlands machte zuerst (1986) die Leipziger Galerie am Sachsenplatz umfangreich Voigts Arbeiten öffentlich. Noch 2004 als das Neue Museum Weimar repräsentativ Kunst zur Zeit der Weimarer Republik in erlesener Ausstellung vorstellt, suchte man vergebens Arbeiten des inzwischen auch in den internationalen Kunstmarkt (USA, Großbritannien) eingegangenen Bruno Voigt. Und das, obwohl jener die zum Nationalsozialismus führenden politischen Umbrüche während der Weimarer Republik künstlerisch überzeugend und mit besonderer Schärfe thematisierte. Und das, obwohl er gerade hier in Weimar persönlich engagiert war, gegen die erahnte Geschichtskatastrophe vorzugehen. Er gehörte zum 1933 (in seinem Atelier) mit unabhängigen Personen gegründeten republikanischen „Linkskartell der Geistesschaffenden“ zur Verhinderung des Dritten Reiches und versuchte mit dem Malern Pohle, Alfred Ahner und anderen noch eine Ortsgruppe der ASSO zu gründen und oppositionelle Künstler zusammen zu führen. Nun konnte mit großzügiger Unterstützung der Familie doch noch eine Ausstellung in Weimar mit wichtigen Arbeiten aus den 30er Jahren und aus der Zeit der Kriegsgefangenschaft für Weimar und die Freunde der Galerie erarbeitet werden. Eine Hauptschwierigkeit bestand darin, dass durch die Galerieausstellungen in der Bundesrepublik in den 80er Jahren, insbesondere aber durch einen kaum kontrollierten und kaum registrierten umfangreichen Verkauf durch den Staatlichen Kunsthandel der DDR aus Gründen der Valutaeinnahme vieles in unbekannten Besitz gelangt ist. Ein Grund für die Aneignungsdefizite in Voigts Thüringer Heimat mag darin liegen, dass er nach seiner Rückkehr aus englischer Kriegsgefangenschaft 1947 sich einer Laufbahn zunächst als Kulturfunktionär und dann für mehr als 30 Jahre der eines Museumsdirektors und erst nach der Pensionierung, im 70. Lebensjahr, wieder der freien Kunst zugewandt hatte. Seine Hauptschaffenszeit liegt bei früher künstlerischer Reife zwischen 1929, dem Beginn seines Studiums bei Walter Klemm an der Weimarer Kunsthochschule und 1944, dazu kommen noch die Arbeiten aus der Zeit der Kriegsgefangenschaft. Kunstgeschichtlich ist Voigt ein Nachzügler des deutschen Verismus, der sich (zum Teil auch stilistisch) an dessen Hauptvertreter wie Georges Grosz und Rudolf Schlichter, aber auch, nach eigenen Aussagen, an dem Simplizissimus-Zeichner Karl Arnold orientiert. Wie bei jenen, aber auch bei Beckmann oder dem Dresdener Griebel, ist Voigts Blick auf die Häßlichkeiten und auf die Verlogenheiten der ihn umgebenden Gesellschaft gerichtet. Jeweils mehr oder weniger deutlich, ist das eingebunden in eigene gedanklich soziale Vorstellungen und politische Utopien. Geboren aus der revolutionären Situation bei Ende des ersten Weltkrieges steht die Kritik am bürgerlichen Leben bei den älteren Veristen im Vordergrund. Der im Vergleich zu den Genannten etwa zehn Jahre später mit seiner künstlerischen Arbeit beginnende Voigt kommt nun direkt in die Zeit des Zerfalls der Weinarer Republik und der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. In Thüringen, dem deshalb von der Weltwirtschaftskrise besonders betroffenem Bundesland, weil hier im Reichsdurchschnitt die Lohneinnahmen für die arbeitende Bevölkerung am niedrigsten waren, geschah dies zuerst. Die Dezemberwahlen 1929 brachte die NSDAP in den Landtag. Anfang 1930 übernahm Wilhelm Frick das Innen- und das Volksbildungsministerium. Es folgten im März die Ermächtigungsgesetze und so der Beginn des legalen NS-Terrors. Die Polizei, die Landesbehörden, das Schul- und das Universitätswesen wurden umorganisiert. Der einstige Mitbegründer des „Werkbundes“ Paul Schultze-Naumburg, inzwischen zum nationalsozialistischen Ideologen gewandelt, übernahm die nun Staatliche Hochschule für Baukunst, Handwerk und Bildende Kunst. Er ließ die Abteilung Moderne Kunst schließen. Die Werke der Brücke-Protagonisten, die von Dix und von den Bauhäuslern Klee, Kandinsky, Feininger , Schlemmer und anderen wurden aus den Ausstellungen entfernt. Aus dieser politischen Situation gewinnt Voigt seine Themen. Über die Entlarvung der Zustände in der Weimarer Republik und die Beschreibung des dekadenten und auch entsolidarisierten Lebens in den Städten hinaus, sind es die zunehmende Faschisierung, die Militarisierung , die Kriegsgefahr, das Spitzelwesen, die Verbindung des Beamtentums und einiger Teile der Industrie mit der neuen Macht und der Lebensfatalismus mit denen sich Voigt in seinen Zeichnungen, Aquarellen und Collagen noch bis in den Krieg hinein auseindersetzt. Wenn auch illustrativer angelegt, beeindrucken durch Authentizität seine Arbeiten aus der Kriegszeit und der Gefangenschaft. Am Ende steht die Bilanz. Ein Einspännerwagen transportiert die Leichen vom Schlachtfeld. Voigt nennt ihn den „Erntewagen“.